Die Tour 1998 - Paznauntal, Galtür

Skiwallfahrt

Galtür, die letzte und höchste bewohnte Siedlung des Paznaun, wird 1319 erstmals urkundlich erwähnt. Damals gehörte es zur Pfarre Ardetz-Steinberg im Unterengadin...Um 1500 wurde Galtür eine eigene Pfarre. 1621 wurde Galtür beim Einfall der Engadiner eingeäschert, nur die gotische Madonna blieb unversehrt, was der Anlaß zur Galtürer Wallfahrt wurde...

Wir sind im Jahr des Herrn 1998, und die Geschichte Galtürs muß fortan umgeschrieben werden. Es ist das Jahr, da Papst Michael Manfred der Erste (in die Annalen eingegangen auch als der "Alpenpapst"), in Begleitung von Kurienkardinal Rudolfus (auch "Hugenotten-Rolf", Schöpfer der Litanei "Sach, iss dat Levve nit schöön") und einem sechzigköpfigen Troß nebst Gefolgschaft in Galtür einfiel: wohlfeile Jünglinge, schmucke Jungfrauen, Musikanten, Komödianten, Marketenderinnen und Mundschenke. Bei Tageslicht wurde beobachtet, wie der Papst-Troß sich todesmutig, auf bunten, langen Brettern und teils mit wild wedelnden spitzen Stöcken bewehrt, von den schnee- und eisbewehrten Berggipfeln herabstürzte. Die Namen allein mögen dem geneigten Zeitgenossen von den Schrecken, aber auch dem Wagemut der Päpstlichen künden: Greitspitz, Palinkopf, Pardatschgrat, Höllenkar!

Nächtens, nach frugalem Mahl bei Herbergvater Franz von der Poststation, zog der Troß singend und musizierend durch die verschlafenen Gassen Galtürs, kündete von fernen Ländern ("Die Karawane zieht weiter, der Sultan hät Dursch", "Sierra Madre"), zitierte schaurige Moritaten von Kälte, Einsamkeit und wahrer Nächstenliebe ("Ich steh im Schnee, im Schnee, und wart auf Dich", "Wenn ich Liebe brauch, dann geh ich zu Pauline"). Sie schoben schwere Scheiben über Eisesglätte, ergötzten sich an deren gelegentlichem Geradeauslauf, und fluchten gar derb ob unerwünschter Nebeneffekte, wie Kurven oder Abgänge. Siedend heißes, rotes Weihwasser wurde zu dem nächtlichen Treiben gereicht, ein Brauch, der den frommen Einheimischen ein neues Gefühl von heiligem Tun darbot.

Einzelne, besonders papstergebene Gruppen ließen es sich nicht nehmen, ihre Tagesbürde jäh und mitten ín Schnee und Eis zu unterbrechen, um nach gemeinsamen Stoßgebet und Glaubensbekenntnis ("Einmal Papst, immer Papst") fremdartige, hostienähnliche Gegenstände verabreicht zu bekommen (es soll sich um Feigen in Wodka gehandelt haben). Beseelte Gesichter allenthalben.

Eines strahlenden Morgens mußten die mittlerweile schon Kummer gewöhnten Paznauner die Päpstlichen bei einem Ritus ganz ketzerischer Art beobachten. Bibelkundige sahen darin einen höchst leidenvollen und offenbar zugleich lustvollen Abwärts-Kreuzweg. Auf ihren nun schon bekannten bunten Brettern schlängelten sich die frommen Pilger in Eis und Schnee, unter offenem Himmel und mit gelb-grünen Kutten angetan, die erleuchtend alles Böse fernhielten, durch rote und blaue Holzstangen, um nach bestandener Qual am Schnee-Altar das heilige Mahl einzunehmen. Aus der päpstlichen Brauerei wurde Gerstensaft ausgeschenkt, der Kardinalskeller verteilte kaiserpfälzischen Meßwein (Kerner), dazu wurde Schnee-Wüsten-Manna gereicht (roher Fisch von fernen Gestaden an gekochten Pataten). Allmechtel, zu einem Aufwärts-Kreuzweg langte es hernach nurmehr beschwerlich. Der Troß zog es vor, aufopfernd und papstgläubig bei stillen Stoßgebeten und inbrünstigen Chorälen zu verweilen. Ein wahrhaft erhabener Anblick.

Am Ende des beschwerlichen und aufopferungsvollen Tagewerks stand auch des öfteren ein Gang zur Messe im Weiberhimml. Dortselbst sah man den Papsttroß noch am letzten Nachmittag jener denkwürdigen Woche, da die ausgetrockneten Kehlen der frommen Galtür-Pilger mit einer letzten Labsal benetzt wurden. So gestärkt an Leib und Seele, entschwand der Troß samt päpstlichem Zweigestirn und Großkutscher Peter aus dem frommen Paznauntal. Wie aus normalerweise gut unterrichteten Kreisen am Rande des Vatikan verlautet, ist allerdings mit einer erneuten Wallfahrt bereits wieder im Jahre des Herrn 1999 zu rechnen. Der Chronistenstift ist gespitzt, die steilen Bergflanken verharren regungslos-gespannt:

Galtür, wir kommen. Schaun mer mal.

Jünger Helmut